Veronika Gasser
Unerwünschte Provokation oder nicht erfüllter Auftrag?

„Kunst am Bau“ führte zu einem Zwist zwischen dem Künstler und dem Verteidigungsministerium. Das Auftragswerk für das Soldatenwohnheim Breitensee wurde nach Angaben seines Schöpfers Herwig Steiner zuerst freudig entgegengenommen, doch einen Tag später besann man sich eines Besseren und verlangte dessen Demontage. Der zuständige Beamte im Ministerium beharrt darauf, dass die Leuchttafel nicht den Skizzen und Vereinbarungen entsprochen habe. Sie musste nun entfernt und durch ein anderes Leuchtbild ersetzt werden.

Das kritische Werk

Die Arbeit hatte eine Menge kritisches Potential, wenn auch für den flüchtigen Beobachter nicht zu verstehen, weil in einem eigens entwickelten Code verpackt. „Sophokles, Ödipus, Naso meet Münchhausen“ – der Titel verrät nur wenig über die Intentionen. Steiner spricht von einer „architekturästhetischen Analyse über Tendenzen der gesellschaftlichen Werteauflösung und der Attrappenbildung“. Beiträge von Walter Benjamin, Massimo Cacciari, Peter Eisenman, Jean-Paul Sartre und Steiner selbst als Zitate oft ohnmächtiger Gesellschafts- und Architekturkritik quasi nicht lesbar in Blindenschrift verpackt.

Das Werk war auch eine Hommage an den Erfinder der Blindenschrift, Louis Braille, dessen 150. Todestag dieser Tage gefeiert wurde. „Meine Arbeit hat auch einen lokalen Bezug. Denn die Braillestraße samt Blindeninstitut befindet sich nur einige Häuserblocks vom Soldatenwohnheim entfernt.“ Steiners Thema ist natürlich die Blindheit politischer Systeme, aber auch des militärischen Apparates oder die Erblindung durch den Krieg. „Auch Ödipus erblindete, weil er die Wahrheit nicht ertragen konnte.“ Der „Blindenschrift-Kometenschweif“ neben den großen Lettern ist somit Symbol und Text gleichzeitig. Doch da die Blindenschrift nur dem Tastenden zugänglich ist, nicht dem Sehenden, bleibt sie dem Betrachter eigentlich immer verborgen.

Verborgen ist mittlerweile das ganze Werk, es durfte nur eine Woche lang besichtigt werden. Danach wurde es auf Wunsch von Walter Sottolarz, im Verteidigungsministerium für Wohnbau zuständig, gegen das eigentlich bestellte Werk ersetzt. „Als Verantwortlicher muss ich auf dem bestehen, was wir vereinbart haben. Und was am Bau hing entsprach überhaupt nicht der Vorlage, die wir bestellt hatten“. Sottolarz fühlte sich vom Künstler bei der Abnahme des Kunstwerks überrumpelt, sodass er nicht sogleich seinen Einspruch erheben wollte. „Es sah ganz anders aus als erwartet.“ Von Zweifeln geplagt, habe er Steiner noch am selben Abend informiert, dass er das 66 Quadratmeter große Leuchtbild so nicht akzeptieren könne. „Wir wollten, dass man die Schrift klar und weit erkennen kann. Das war eines unserer Kernprobleme.“

Steiner sieht die Angelegenheit naturgemäß anders: „Ich bin erst einen Tag später informiert worden, dass meine Arbeit nicht passt. Obwohl mir bei der Abnahme noch versichert wurde, wie gut sie gelungen sei. Und er vermutet hinter der „plötzlichen Ablehnung, die durch nichts zu rechtfertigen ist, weil ich Sottolarz über den Werdegang und die Veränderungen auf dem Laufenden gehalten habe“, eine Intervention von höherer Ebene: „Mir wurde zugetragen, dass es im Ministerbüro Widerstand gegen mein Werk gegeben hätte. Sottolarz als Beamter muss sich jetzt halt hinter bürokratischer Korrektheit verschanzen.“ Der Künstler betont, dass er von Anfang an die Prozesshaftigkeit klargemacht habe, er sieht sich als Opfer bürokratischer Kleinkrämerei.

Der Jurist beharrt auf dem Bestellten: „Ich bin ein Freund moderner Kunst, deshalb habe ich mich für das leuchtende Bild stark gemacht. Doch es wurde die von uns bestellte Leistung nicht erbracht.“ Für ihn war es, wie er betont, so und so nicht leicht, ein modernes Kunstwerk auf dem Soldatenheim durchzusetzen.

Mittlerweile prangt eine andere Leuchttafel, ohne störendes Beiwerk am BUWOG-Bau. Ob der gesellschaftskritische Inhalt der Brailleschrift tatsächlich provozierte oder ob ganz einfach ein Auftrag nicht ordnungsgemäß erfüllt wurde, wird wohl nie geklärt werden können. Ein Kunstwerk, das störte, wurde jedenfalls ersetzt und gegen die einfache Aufschrift „Wohnheim Breitensee“ eingetauscht. Sottolarz beschwichtig: „Es hängt ja trotzdem ein echter Steiner.“ Doch der Künstler will mit dieser Arbeit, die nach seinen Vorlagen gemacht wurde, nichts mehr zu tun haben. „Ein Sieg der Banalität“, wie es Steiner formuliert, der um eines seiner besten Werke trauert, das jetzt vielleicht in einem dunklen Keller langsam vor sich hinmodert.

Veronika Gasser, Unerwünschte Provokation oder nicht erfüllter Auftrag? In: Wiener Zeitung, 9. Jänner 2002

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